Heute habe ich viele verschiedene Emotionen erlebt. Ich habe Verzweiflung erfahren, Erschöpfung, Bewunderung, Entsetzen, Trauer, Wut, Ausgelassenheit, Spaß, gemeinsames Lachen, Freude, Verständnis und Erleichterung.
Vormittags haben wir hart gearbeitet, um beim Bau eines Aquädukts und einer Schultoilette zu helfen. Die körperliche Arbeit war hart und mich erfasste große Bewunderung für ein Volk, das quasi ohne Geräte und allein mit menschlicher und tierischer Kraft auskommt. Häuser werden errichtet, Fundamente ausgehoben und mit Zement gefüllt. Entsetzen deshalb, weil die Grausamkeit des Lebens hier gegenüber Tieren mich überschwemmt hat. Und ich konnte nicht anders, als die Menschen für dieses Verhalten zu verurteilen. Und zwar jeden Einzelnen, jedes einzelne Kind. Ich empfand, dass es wohl besser sei, mich zurückzuziehen und niemanden mehr zu sehen, um niemandem Unrecht zu tun oder zu verletzen. Die Pferde hier werden hart angegangen, man treibt sie voran indem man sie schlägt, man lenkt sie indem man an ihrem Kopf zerrt und man steigt auf, indem man darauf springt. Aber viel schlimmer war es diese hilflosen Welpen zu sehen. Der eine hatte seine Mama verloren und saß wohl mutterseelenallein die ganze Nacht auf dem Gemeindeplatz, ohne dass sich irgendwer bequemt hätte, ihn heimzubringen, ihn zu schützen, bis ich es am nächsten Morgen tat. Den zweiten Welpen fand ich nachmittags, auf dem Rückweg von der Arbeit. Ich hörte ein schwaches verzweifeltes Fiepen aus dem Gras und wurde gleich aufmerksam. Lauter Fliegen umschwirrten den Kopf eines winzigen Hundewelpen und setzen sich in die schlimme Wunde, die er am Kopf trug. Ein Pferd hatte ihn wohl am Kopf getroffen, man ließ ihn schwerverletzt im Gras liegen und scherte sich nicht darum. Wäre es richtig, ihn zu erlösen, weil seine Überlebenschancen so gering sind? Dies ist der gottverdammt falsche Ort für ein Tier, geboren zu werden. Hätte ich ihn mitnehmen sollen, um ihn aufzupeppeln? Stünde es in meiner Macht, hätte ich ich die Mittel, ihn aufzupeppeln? Dürfte ich ihn einfach mitnehmen? Wäre es meine Pflicht gewesen, diesem hilflosen Wesen zu helfen? Wie kann ich diese armen Würmer nur beschützen? Mir schlug heute die harte Wahrheit ins Gesicht, dass ein Leben hier weniger wert ist. Dass das Leben eines Hundes beispielsweise (fast) nichts wert ist. Ich empfinde unheimliche Wut darüber und auch Abscheu für diese Mentalität. Und wie kann ein kleiner Junge ebendiesen leidenden Welpen, den ich vorsichtig in meinen Armen trug, während er sein Kopf dort vergrub, in eine Hand nehmen und ihn achtlos und ohne jegliche Liebe hin und her schwenken? Ich habe diesen Hund geborgen, aber er hat ihn transportiert. Er empfand keine Liebe und kein Verantwortungsgefühl. Ich bin so unsagbar wütend und verständnislos für diese Haltung, für diese Kinder die schon so grausam sind. Ich empfand Hass für eine solche Gesellschaft und ich empfand, dass mich hier niemand verstehen wird, dass niemand gleich denkt. Auch bei Gesprächen mit Johanna fällt es mir schwer, meine Wut und mein Unverständnis zu bewältigen.
Wir ritten heim, ich wusste nicht was ich tun soll, ich brauchte jemanden und zugleich konnte ich hier niemanden brauchen. Ich wollte die Kinder nicht sehen, die Pferde schlagen und zugleich meinen Namen rufen, ich wollte mit niemandem sprechen, der nur Unverständnis für mich empfindet und ich wollte nicht ständig die gleiche dämliche Frage gestellt bekommen, nämlich ob ich müde bin. Natürlich war ich müde, ich hatte Steine auf meinen Schultern getragen! Aber wo es mir gerade schlecht geht, das ist in meinem Herzen, nicht in meinem Körper. Ich hab auch kein Bock mehr, dass andere mein Pferd für mich schlagen, weil ich es nicht tun möchte! Dass sie mir ständig sagen, was ich zu tun hab, dass sie mir helfen wollen und mich damit entsetzen.
Wir ritten heim und ich stellte fest, dass die Pferde zu einer Gangart die über Schritt hinaus geht, fähig sind. Es ging nämlich heim und sie rannten. Mich ergriff ein „Jetzt ist auch alles egal, „lass-es-raus-und-schrei-und-johle-Gefühl“. Das befreit und es tat gut danach noch in voller Monitur in den Bach zu springen. Ich wollte allerdings nicht schon wieder Keisy an mir dranhängen haben. Zurück im Haus waren die Kinder und Deyvis da und es ging mir besser. Wir knoteten zusammen, erklommen die Holzdecke und probierten Kletterknoten aus. Ich unterhielt mich später mit Orlando über das Erlebte und erfuhr, dass seine Einstellung gegenüber Tieren sehr anders ist, das gibt es also auch. Er hat großes Mitleid mit den Hunden. Auch Diego ist ein Tierfreund. Dennoch weiß ich, dass auch Diego die Pferde schlägt.
Ich unterhielt mich abends noch mit Deyvis und erzählte ihm, wie hart es im Moment für mich ist, wie abgeschottet und einsam ich mich fühle. Er versteht. Und noch wichtiger: er versucht mich zu verstehen. Er hört mir zu. Es tut gut darüber zu sprechen und ich merke, wie mich das erleichtert. Ich habe hier keine Vertrauensperson, niemand der mich kennt, niemand der mich umarmt. In dieser fremden und manchmal grausamen Welt fühle ich mich allein und unverstanden. Ich habe hier (noch) keine Freunde. So einfach ist das und so hart ist das. Und ich brauche Liebe. Die Liebe kann ich hier oft nicht sehen.